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1975: Studie zum GVP über Reihenfolge U-Bahnbau & Hintergründe
geschrieben von Glinder 
Zitat
STZFa
Dann wird Stephansplatz eben zur Endststation mit zwei Bahnsteigen und angeschlossener Kehranlage.
Für die Kosten einer solchen Station könnte man die Strecke - wenn schon - dann eher bis Gänsemarkt weiter in die Stadt legen. Dann kommen weigstens ein paar Leute ohne Umsteigen zu ihrem Ziel.

Freundliche Grüße
Horst Buchholz - histor
Zunächst einmal möchte ich Dir, lieber Uli, sowohl für seine fundierte Recherche danken als auch dafür, den Thread ob seiner Aktualität wiederbelebt zu haben. Gleichwohl bin ich mit der Kausalkette hinsichtlich der oftmals (zu Recht) als historischer Fehler bezeichneten heutigen Niendorfer U-Bahn nicht einverstanden.

Ausführlich habe ich mich dazu alldieweil innerhalb dieses Threads geäußert: [www.bahninfo-forum.de]

Ungeachtet dessen auch an dieser Stelle ein paar Anmerkungen:


Zitat
Glinder
Jetzt hab ich die Quelle wiedergefunden. Hamburger Nahverkehrsnachrichten 22/3 vom Oktober 1975 (nicht 1977) mit Zusammenfassung aus dem "Bericht über die Ergebnisse der Untersuchungen zum Generalverkehrsplan (GVP) Region Hamburg".

Zur Beurteilung und Entscheidung wurden betriebliche Aspekte genommen. Grundlage ist dass auf den U-Bahnstrecken nicht häufiger als alle zwei Minuten gefahren werden kann (120 Sekunden). Nur wenn mehr als eine Bahnsteigkante vorhanden ist kann man häufiger fahren.

...

Die Niendorfer U-Bahn kann nicht Stephansplatz ausfädeln weil sonst die U1 östlich davon mit sieben Zügen in zehn Minuten belegt wäre.

...

Aus diesen betrieblichen Bedingungen wurde das Netz entwickelt. Es gab zwei Varianten. Der Unterschied war die Niendorfer U-Bahn wie schon von mir geschrieben.

...

Variante I von Hagenbeck bis Niendorf und von Stephansplatz bis Lokstedt und von Jungfernstieg nach Lurup. Variante II von Jungfernstieg über Großneumarkt und Grindel und Lokstedt nach Niendorf und von St.Pauli nach Lurup.

Hintergrund war dass die Strecke entlang der M5 (damals Straßenbahn 2) so stark nachgefragt wäre dass man die U1 überlastet hätte. Darum hat man Niendorf und Lokstedt dann über zwei Linien angeschlossen.

Und eben diesen Hintergrund wage ich zu bezweifeln. Gehe ich recht in der Annahme, dass der "Bericht über die Ergebnisse der Untersuchungen zum Generalverkehrsplan (GVP) Region Hamburg" vom Senat in Auftrag gegeben wurde? Einerseits war es nämlich zu dieser Zeit (bereits) Brauch und Sitte, mithilfe von Studien und Gutachten vor allem auch verkehrspolitische Angelegenheiten vermeintlich objektiv zu beeinflussen. Es war die Zeit, zu der man - wie heutigentags in Hamburg betreffs der Stadtbahn wiederholt zu beobachten - mit (wohlgesonnenen Gutachtern) verzweifelt die Senats- und HVV-Haltung zu verteidigen versuchte. Eines der wichtigsten Ziele: die Umsetzung des Grundsatzbeschluss aus den 50ern für eine Stilllegung der Straßenbahn bis zum Letzten. Es war eben auch die Zeit, als Kritiker wenig willkommen waren und man sie kurzerhand mittels Kündigungen mundtot machte. Vergleich dazu: [www.welt.de]

Die von Dir angeführten betrieblichen Parameter, eine U1 wäre für eine nachfragestarke Niendorfer U-Bahn kapazitiv nicht mehr in der Lage, weshalb eine Ausfädelung am Stephansplatz hätte gemäß des Untersuchungsberichtes nicht in Betracht kommen können, entbehrt in vielerlei Hinsicht dem richtungsweisenden Motiv der nachrangig umgesetzten Lösung. Sowohl die zu dieser Zeit bereits fertiggestellte Münchner als auch die Stuttgarter Stammstrecke beweisen, dass eine solch verdichtete Zugfolge - sogar nach EBO/ESO und nicht wie in diesem Falle der baulich einfacher zu handhabenden BOstrab - gelingt.

Von eminenterer Bedeutung dürfte unterdessen der Artikel des Hamburger Abendblatts vom 20. November 1975 sein, also vier Monate nach Veröffentlichung des von Dir analysierten Untersuchungsberichts.

Unter der Überschrift "Die nächste U-Bahn soll nach Niendorf fahren" heißt es darin, dass den Ausschlag für die Senatsentscheidung ein Gutachten von drei namhaften Verkehrsexperten ergeben habe. Die Professoren Dr. Funck (Technische Universität Karlsruhe), Dr.-Ing. Retzko (Technische Hochschule Darmstadt) und Dipl.-Ing. Schaechterle (Technische Universität München) erkannten der Strecke Niendorf - Hagenbecks Tierpark die höchste Priorität unter den Schnellbahnprojekten der Zukunft zu. Dazu werde folgende Rechnung aufgemacht: "Die Investitionskosten dürften zwischen 260 und 300 Millionen Mark liegen. Auf der anderen Seite brächte die U-Bahn gegenüber der bisherigen Verbindung von Straßenbahn und Bus Betriebskosten-Einsparungen von rund 600 000 Mark im Jahr. Mit anderen Worten: Die Baukosten der Niendorfer U-Bahn wären nach spätestens 30 Jahren wieder hereingeholt."

In Anbetracht der politisch delikaten Situation, die Niendorfer hatten bis dato weit über ein Jahrzehnt hinweg Stimmung für eine schnelle U-Bahnanbindung gemacht, suchte man händeringend nach einer fundierten Argumentation wider Erwarten doch von Hagenbeck aus zu verlängern. Schließlich wollte man ein Verprellen sowohl der Niendorfer als auch der Lokstedter und derer im Bereich Grindel seitens des Senats nicht riskieren. Denn stets war die Antwort desselben auf die Frage nach dem Weiterbau der Eimsbütteler Linie gen Niendorf immer die große Lösung unter der heutigen M5-Trasse (ehemals Strab-Linie 2). Das finale K.o.-Kriterium gegen die günstige Variante über Hagenbecks Tierpark hatte zuletzt die Hochbahn in einem eigenen Positionspapier 1965 geliefert und eine derartige Streckenführung abgelehnt.

Zur Begründung heißt es darin laut dem Hamburger Abendblatt vom 6. Dezember 1965: "Zwar würde der Stadtteil Niendorf frühzeitiger als nach den jetzigen Planungen eine U-Bahn-Verbindung in die Innenstadt erhalten, die Stadtteile Lokstedt, Hoheluft und der Grindelbezirk würden jedoch isoliert werden und müssten damit rechnen, auch in Zukunft keinen U-Bahn-Anschluss zu bekommen. Der Grund: Das Verkehrsvolumen allein dieses Gebietes reicht für eine weitere U- Bahn-Linie nicht aus." Wie Recht die Hochbahn mit ihrer These doch behielt!

Da dürfte die auf Kapazitätsengpässen beruhende Argumentation dem Senat in Zeiten von Ölkrise und Überschuldung Hamburgs wohl mehr als billig gewesen sein. Zum einen konnte man auf preiswerte Art die Niendorfer ruhigstellen. Zum anderen ergab sich die Möglichkeit, den nicht verhallenden Unkenrufen nach einer mangels Auslastung stark defizitären Eimsbütteler U-Bahn zum Tierpark Einhalt zu gebieten oder wie es das Hamburger Abendblatt am 24.11.1975 ausdrückte:

Zitat
Hamburger Abendblatt vom 24.11.1975

Der 30. Oktober 1966 war ein großer Tag für Hagenbecks Affen: Sie erhielten auf Staatskosten U-Bahn-Anschluss zur Innenstadt. Fortan rollte Linie U 2 bis zum Tierpark. Natürlich war das den Affen ziemlich egal, nicht jedoch den Bürgern von Niendorf.

Ein aus meiner Sicht historischer Skandal unter dem Deckmantel empfehlender Verkehrsexperten!



3 mal bearbeitet. Zuletzt am 18.01.2014 21:37 von EBostrab.
Der Vorteil solcher wohltuend unaufgeregten Diskussion ist dass man manche Argumente auch unaufgeregt auf Stichhaltigkeit prüfen kann.

Ich verstehe dich so dass dein Argument ist dass man die Niendorfer Strecke hätte aus der U1 ohne Probleme abzweigen kann weil die U1 problemlos auf einen Abstand enger als 120 Sekunden gebracht werden kann weil das in München und Stuttgart so gemacht wird.


Wikipedia merkt zum Münchner Stammtunnel an:

"Bereits 1972 verkehrte die S-Bahn auf der Stammstrecke mit Linienzugbeeinflussung (LZB) mit Führerstandssignalisierung. Aufgrund geringer Verfügbarkeit und weiterer Faktoren wurde das System 1983 außer Betrieb genommen. Im Jahr 2004 wurde auf der Stammstrecke verbesserte LZB-Technik eingebaut, um den Durchsatz der Strecke von 24 auf 30 Züge in der Stunde je Richtung zu erhöhen.[49]"

Das heisst bis 2004 wurde nur alle 150 Sekunden gefahren und seitdem alle 120 Sekunden. Die Stammstrecke hat außerdem in den stark belasteten Haltestellen auf beiden Seiten des Zuges Bahnsteige und damit kann man die Abfertigung auch schneller machen. Man müsste wissen wie die Leistungsfähigkeit der Zugänge Jungfernstieg und Hauptbahnhof ist. Es sind Mittelbahnsteige und nicht so sehr breit.



Zur Stuttgarter Stammstrecke lese ich bei Wikpedia:

"Alle Linien verkehren unter der Innenstadt durch einen zweigleisigen Tunnel bis zum Bahnhof Schwabstraße. Dieser Streckenengpass begrenzt die Zugfolge, die mit 2,5 Minuten planmäßiger Zugfolgezeit bereits recht nahe an die technische Grenze kommt. Dieser Wert resultiert aus dem heute je Linie maximal gebotenen 15-Minuten-Takt. Ein dichterer Takt von S-Bahnen ist mit konventioneller Signalisierung und aufgrund der Fahrgastwechselzeit mit der bestehenden Infrastruktur nicht möglich."


Sieht so aus als ob der Nachweis dass die 120-Sekunden ein Scheinargument waren wird etwas schwierig. Heute gilt übrigens soweit ich weis sogar 150-Sekunden als Grenze auf den U-Bahnstrecken und das Gutachten sagte damals ja auch dass das Problem einer Linie Stephansplatz - Niendorf (Nord) wäre dass im Abschnitt Stephansplatz - Wartenau hätten 7 Züge in 10 Minuten fahren müssen und das ging technisch nicht. Mit der im FNP gewählten Lösung nur bis Siemersplatz wollte man wohl mit nur 5-Minutentakt auskommen.

Die Hochbahnaussage von 1965 hat sicher auch ein andere Grundlage als heute mit vielen Nachverdichtungen entlang der Strecke. 1977 beförderte die 2 täglich nur 36200 Fahrgäste und was nun den Busbonus ausmacht warum das auf der 5 so viel mehr sind weiss ich auch nicht. Da sich die Nachfrage heute nicht nur Hoheluftbrücke ballt wie 1977 sondern auch zwischen Hoheluft und Dammtor wird die Prognose heute anders ausfallen als damals. Vielleicht wurde 1977 bei den Fahrgastzahlen auch etwas geschummelt und es waren 45000 aber mehr sicher nicht.



Dein Argument sticht eher beim Abzweig von Jungfernstieg U2. Zwischen Jungfernstieg und Hauptbahnhof-Nord kann man mit konventioneller Signalisierung alle 75 Sekunden fahren wenn Hauptbahnhof Nord vier Bahnsteige vorhanden sind. Dafür hätte man aber eine Verpflichtung gehabt danach bis Winterhude weiterbauen und das wollte damals keiner auf sich nehmen. Die von dir zitierte Rechnung über 300 Mio. D-Mark hätte nicht ausgereicht. Die Neubau-Strecke Jungfernstieg - Niendorf wäre fast doppelt so lang gewesen und hätte Schildvortrieb gebraucht und für die U4 hätte man auch Schildvortrieb gebraucht und die U2 wäre heute noch nicht wirtschaftlich zu den Affen von Hagenbeck unterwegs.

Die Zeitumstände sehe ich genauso: 1975 wäre kurz nach der Finanzkrise ein teureres Projekt nicht möglich gewesen (U2-Abzweig und noch U4-Ost). Dann hätte man auch die U4 im Westen nicht stoppen brauchen. In der Interpretation sehe ich das ähnlich dass die Alternative damals war: über Hagenbeck oder gar keine U-Bahn. Für die Kosten der heutigen U2-Verlängerung wäre man von der U1 oder U2 Jungfernstieg nur bis Siemersplatz gekommen.



Zu dein Zitat von 1965 passt auch die Entscheidung kurz danach dass die 2 einen eigenen Bahnkörper erhielt mit der Begründung es würde noch sehr lange dauern bis sie durch eine U-Bahn ersetzt wurde. Auch im Schnellbahnbauprogramm sollte sie als letzte Strecke gebaut werden. Wenn die Fahrgastprognosen so waren wie 1977 die Zahlen von de 2 dann wundert das auch nicht denn dann war auf der U4 und dem Abzweig nach Steilshoop mehr los.
@Glinder: Ob meiner bevorstehenden Nachtruhe verkürze ich meinen Beitrag auf die wesentlichen Aspekte Deiner Auslassungen:

  • Zufolge: Betreffs München fahren die Züge der dortigen U-Bahn in der HVZ durchschnittlich in einem 150 Sekundentakt. Technisch darstellbar wären 90 Sekunden. [www.muenchnerubahn.de] Ohne jetzt ins Detail zu gehen, hat die Münchner U-Bahn mit 103,1 km Streckenlänge nicht nur eines der größten, sondern dank seiner jährlich ca. 378 Millionen Fahrgäste auch eines der am meisten belasteten Netze. Davon ist Hamburg derzeit unbestritten weit entfernt. Das aber wirft die Frage auf, ob es in der Hansestadt überhaupt die Notwendigkeit dafür gab, speziell für einen Ast Stephansplatz - Niendorf mit solch einem Spitzenwert rechnen zu müssen. Ich wage einmal die für den Augenblick nicht argumentativ dargelegte Hypothese, dass die zweite Stammstrecke zwischen München Hbf und Kolumbusplatz in jedem Falle einer höheren Nachfrage ausgesetzt ist, als es eine Linie von Niendorf bis Stephansplatz jemals gewesen wäre. In München klappt die Vertaktung auf drei Stammstrecken, Hamburg hat keine einzige. Dieses kapazitive Damoklesschwert wirkt auf mich so, als wollte man das Rad neu erfinden.

  • Zugsicherung: Zweifellos ist die Wahl eines geeigneten Zugsicherungs- und Zugbeeinflussungssytems obligatorisch, allerdings im Rahmen derartiger Investitionen auch keine nennenswerte Hürde. Zumal die Hochbahn mit der LZB erstmalig ab 1967 zwischen Wartenau und Trabrennbahn experimentiert hatte, um die Zufolge technisch auf 90 Sekunden zu verdichten.

  • Optimale Streckenvariante: Gleichwohl stimme ich Dir unumwunden zu, dass ich subjektiv in Anbetracht der Geschehnisse eine Linienführung vom Jungfernstieg nach Niendorf präferiert hätte. Mitnichten sehe ich eine Verpflichtung für die Winterthuder Verlängerung. Ein geeignetes Beispiel ist die heutige U4, bei der auch bloß eine Verlängerung nach Wilhelmsburg berücksichtigt und mittelfristig als wünschenswert eingestuft wird.

Es bleiben zwei historisch verkehrspolitische Sünden: die erste war die Einstellung der Straßenbahn, die zweite ein zusammengeschusterter Ersatz, den die Affen in Hagenbeck - um in dem Bild zu bleiben - nicht hätten schlechter planen können!
90 Sekunden Zugfolge war in London schon in den 1960-er Jahren kein besonderes Thema (Bericht Colberg im "Stadtverkehr"). Dazu noch ebenerdige Kreuzungen mit dem Gegenverkehr im Gleisdreieck bei Aldgate. Und sagen wir mal so = Wenn zwei Gleise da sind und die Signalisierung läßt nur eine lahme Zugfolge zu, könnte man ja mal die Art der Signalisierung verbessern.

Die Reihenfolge des Streckenbaues ist nicht immer von verkehrstechnisch sauberen Parametern abhängig. Da spielen natürlich auch politische Erwägungen eine bedeutende Rolle. Das beginnt schon mit den Grenzen von 1937 gegen Altona. Ansonsten wäre der U-Bahn-Ring durchaus besser über Schanzenstraße - Neuer Pferdemarkt - Budapester Straße vom Schlump zum Millerntor geführt worden, statt quer unter dem Heiligengeistfeld. Oder eben damit, dass für die damals meist belasteteste Nahverkehrsstrecke Altona - Gr. Bergstr. - Reeperbahn - Steinwege - Gr. Burstah eben keine U-Bahn vorgesehen war, weil ein großer Teil der Strecke auf Altonaer Gebiet gelegen hätte. Ebenso waren Langenhorner Bahn und Walddörferbahn reine politisch gewollte Siedlungserschließungen zu Flächen, die zufällig Hamburg gehörten. Nicht ohne Grund musste die Stadt den Betrieb dieser Linien besonders subventionieren.

So ist auch die Entscheidung "erst Wandsbek, danach Billstedt" aus politischen Gründen gefallen - nämlich Platz frei zu machen für das Privatauto. Von den Belastungszahlen beförderten die Straßenbahnen auf der Hammer und Horner Strecke mehr Menschen als auf der Wandsbeker Strecke. Allerdings konnte man eben mit der Wandsbeker Strecke nebeibei auch den umständlichen Anschluß der Walddörferbahn über den großen Barmbeker Bogenviadukt korrigieren und auch die Straßenbahnen 6, 8 und 9 auf der Hamburger Straße einstellen.

Ebenso wird Steilshoop, Lurup / Osdorf, Wilhelmsburg oder Grindelstrecke eine politische Entscheidung werden, publizistisch entsprechend begleitet. Die reinen Zahlen (Kosten, Beförderungspotential) dienen da nur als Argumente. So war es doch auf einmal möglich, eine U-Bahn in die HafenCity zu bauen, von der vorher nie die Rede war (und dann noch in dieser unsäglichen Form jenseits vernünftiger Netzstruktur).

Freundliche Grüße
Horst Buchholz - histor
Hallo,

so, jetzt nachdem ich den halben Tag über wieder wach und ausgeschlafen bin, kann ich mich nochmals der Thematik widmen und, wie so schön angemerkt wurde, manche Argumente auf ihre Stichhaltigkeit hin prüfen.

@Glinder: Weshalb die City-S-Bahn auf die Entscheidung der Niendorfer Trassenführung keinen wirklichen Einfluss nahm, habe ich ja bereits hier [www.bahninfo-forum.de] ausführlich dargelegt.

Zitat
Glinder


Ich verstehe dich so dass dein Argument ist dass man die Niendorfer Strecke hätte aus der U1 ohne Probleme abzweigen kann weil die U1 problemlos auf einen Abstand enger als 120 Sekunden gebracht werden kann weil das in München und Stuttgart so gemacht wird.

Richtig, ohne Probleme.

Zitat
Glinder

Wikipedia merkt zum Münchner Stammtunnel an:

"Bereits 1972 verkehrte die S-Bahn auf der Stammstrecke mit Linienzugbeeinflussung (LZB) mit Führerstandssignalisierung. Aufgrund geringer Verfügbarkeit und weiterer Faktoren wurde das System 1983 außer Betrieb genommen. Im Jahr 2004 wurde auf der Stammstrecke verbesserte LZB-Technik eingebaut, um den Durchsatz der Strecke von 24 auf 30 Züge in der Stunde je Richtung zu erhöhen.[49]"

Das heisst bis 2004 wurde nur alle 150 Sekunden gefahren und seitdem alle 120 Sekunden. Die Stammstrecke hat außerdem in den stark belasteten Haltestellen auf beiden Seiten des Zuges Bahnsteige und damit kann man die Abfertigung auch schneller machen. Man müsste wissen wie die Leistungsfähigkeit der Zugänge Jungfernstieg und Hauptbahnhof ist. Es sind Mittelbahnsteige und nicht so sehr breit.



Zur Stuttgarter Stammstrecke lese ich bei Wikpedia:

"Alle Linien verkehren unter der Innenstadt durch einen zweigleisigen Tunnel bis zum Bahnhof Schwabstraße. Dieser Streckenengpass begrenzt die Zugfolge, die mit 2,5 Minuten planmäßiger Zugfolgezeit bereits recht nahe an die technische Grenze kommt. Dieser Wert resultiert aus dem heute je Linie maximal gebotenen 15-Minuten-Takt. Ein dichterer Takt von S-Bahnen ist mit konventioneller Signalisierung und aufgrund der Fahrgastwechselzeit mit der bestehenden Infrastruktur nicht möglich."

Zugegebenermaßen meinerseits unglücklich gewählte Beispiele, obgleich ich auf die höheren bzw. weniger flexiblen Anforderungen der EBO gegenüber der BOStrab hinwies.

Zitat
Glinder

Sieht so aus als ob der Nachweis dass die 120-Sekunden ein Scheinargument waren wird etwas schwierig. Heute gilt übrigens soweit ich weis sogar 150-Sekunden als Grenze auf den U-Bahnstrecken und das Gutachten sagte damals ja auch dass das Problem einer Linie Stephansplatz - Niendorf (Nord) wäre dass im Abschnitt Stephansplatz - Wartenau hätten 7 Züge in 10 Minuten fahren müssen und das ging technisch nicht. Mit der im FNP gewählten Lösung nur bis Siemersplatz wollte man wohl mit nur 5-Minutentakt auskommen.

Den Nachweis war ich Dir noch schuldig, hier kommt er: Der stark pauschalisierte Rückschluss, eine Verdichtung der Zugfolge explizit auf sieben Züge binnen zehn Minuten wäre technisch zu dieser Zeit unmöglich gewesen, ist schlichtweg falsch. Wie ich im obigen Thread bereits den Einwand kundtat, experimentierte die Hochbahn seit 1967 auf der Wandsbeker U-Bahn zwischen Trabrennbahn und Wartenau mit der so genannten Linienförmigen Zugbeeinflussung - kurz: LZB. Ziel des Unterfangens war die damalig angedachte Fahrautomation, ähnlich wie beim zwischen 1982 und 1985 erprobten PUSH = Prozessrechnergesteuertes U-Bahn-Automatisierungs-System Hamburg. Beide Pilotprojekte gingen zeitlich ineinander über. Die Vorbereitungen für PUSH begannen im Juni 1977, während die Operation auf der Wandsbeker U-Bahn als vonseiten des Bundesministeriums für Forschung und Technologie gefördertes Vorhaben "Automatische Betriebsabwicklung des Schnellbahnverkehrs der Streckeneinrichtungen" 1978 erfolgreich beendet wurde.

Als wesentliche Merkmale sind hierunter zu verstehen:

  • Zugortung
  • Einhaltung sicherheitsrelevanter Vorgaben (Anforderungen aus den gesetzlichen Verordnungen wie bspw. BOstrab)
  • Erfüllung betrieblicher Vorgaben
  • Fahrzeugsteuerung

All diese Maßnahmen sollten einerseits sicherlich die Wirtschaftlichkeit erhöhen, waren jedoch vornehmlich dem Interesse geschuldet, die Potenz der Strecke deutlich zu erhöhen. Am 5. Dezember 1967 berichtet das Hamburger Abendblatt in seiner 283. Ausgabe unter dem sehr plakativen Titel "Automatik löst U-Bahn-Fahrer ab" zu dem Thema:

Zitat
Hamburger Abendblatt vom 05.12.1967

Die Hochbahn denkt nicht daran, die Männer in den Fahrerkabinen einzusparen, wenn die Elektronik generell eingeführt wird. Die Fahrer bleiben zur Kontrolle auf dem Posten, dies auch zur Beruhigung der Fahrgäste! Die Leistungsfähigkeit der Strecken lässt sich durch die Fernsteuerung erhöhen, weil die Züge praktisch unmittelbar hintereinander herfahren können, ohne sich zu nahe zu kommen. Der Zugabstand wird dann nur noch vom Aufenthalt in den Haltestellen diktiert. Theoretisch kann demnach alle 90 Sekunden ein Zug fahren.

Nach etwas über drei Jahren Pionierarbeit sind anscheinend so viele Erfahrungen gesammelt worden, dass die Technik mittlerweile überzeugt und man sich im Hause der Hochbahn sicher ist, die LZB sukzessive auf allen Strecken zu installieren. Eine viertel Seite widmet das Hamburger Abendblatt in seiner Ausgabe Nr. 56 vom 08.03.1971 den wie von Geisterhand gesteuerten Zügen und skandiert: "U-Bahn durch Automatik-Züge noch perfekter - In Kürze: 'Fahrerlos' zwischen Trabrennbahn und Ritterstraße"

Zitat
Hamburger Abendblatt vom 8. März 1971

Beide Testzüge haben bisher bei ihren nächtlichen Fahrten über 80 000 Kilometer hinter sich gebracht. Damit hat die Vollautomatik ihre Bewährungsprobe bestanden.

...

Auf dem Elektronik-Abschnitt haben die Fahrer nur noch zwei Aufgaben: sie müssen nach dem Abfahrtszeichen des Haltestellenwärters mit einem Knopfdruck die Türen schließen und mit einem weiteren Knopfdruck den Anfahr-Impuls geben. Alles andere macht die Elektronik.

...

Der programmierte Fahrplan garantiert einen Zugabstand von 60 bis 80 Sekunden.

Dieser Wert markiert exakt die von Dir erwähnten Vorgaben vier Jahre vor Abschluss des von Dir angeführten Untersuchungsberichtes!
Denn sieben Züge binnen zehn Minuten erforderten einen minimalen Zugfolgeabstand von 85 Sekunden. Damit würde man den Erfordernissen bei Weitem genügen und diese sogar mit mindestens fünf Sekunden unterschreiten.

Der potenziellen Unterstellung, das Abendblatt hätte möglicherweise unseriös gearbeitet und falsche Zahlen wiedergegeben, präventiv entgegenwirkend: Ein solcher Zugfolgeabstand ist unter Berücksichtigung der damalig gültigen Normen durchaus plausibel. Zu diesem Zwecke möchte ich aus dem 1985 veröffentlichten Schlussbericht der Hamburger Hochbahn AG zu PUSH = Prozessrechnergesteuertes U-Bahn-Automatisierungs-System Hamburg zitieren, letzterer mir dank des Fraunhofer-Informationszentrums Raum und Bau zur Verfügung steht:

Zitat
Schlussbericht PUSH / Herausgeber: Hamburger Hochbahn AG; Seite 83 Abschnitt 6.2.3

  • Zugfolge: Die Möglichkeit zur Verdichtung der Zugfolge durch die "Fahrt auf elektrische Sicht" wurde bei Versuchsfahrten für mehrere hintereinander folgende LZB-Züge bei verschiedenen Geschwindigkeiten demonstriert. Bei einer Reisegeschwindigkeit (Anmerkung von EBostrab: nicht Höchstgeschwindigkeit) von 30 km/h, einschließlich des Aufenthaltes an den Haltestellen, könnten Zugfolgezeiten von bis zu 30 sec erzielt werden.

Dass man also Deiner Aussage zufolge in dem Untersuchungsbericht von 1975 eine technische Vereinbarkeit mangels möglicher Kapazitäten auf der U1 zwecks Ausfädelung am Stephansplatz gen Niendorf ausschloss, ist - mit Verlaub - Humbug, hanebüchen und schizoid. Nicht zuletzt deswegen, weil man bereits vor Abschluss des Gutachtens und danach erfolgreich den Gegenbeweis erbracht hatte. Für eine beflissene Änderung der Voraussetzungen, um eine Verlängerung von Hagenbeck zu beschönigen, spricht darüber hinaus die Veröffentlichung des Abendblatt-Artikels "Niemand verliert seinen Arbeitsplatz - Hochbahn: Trotz Automatik Fahrer gebraucht" vom 28. Februar 1973:

Zitat
Hamburger Abendblatt Ausgabe Nr. 50 vom 28.02.1973

Die HHA versichert nun ausdrücklich, dass alle heute tätigen U-Bahn-Fahrer und auch jene, die künftig eingestellt werden, ihr ganzes Leben lang bei der Hochbahn einen gesicherten Arbeitsplatz haben.

Wörtlich erklärt die Gesellschaft ihren Fahrern per Rundschreiben: "Ausgangspunkt für die Überlegungen zur Automatisierung sind die geplante Erweiterung des Netzes sowie die zur Hebung der Attraktivität notwendige Verdichtung der Zugfolge. Der Mehrbedarf an Zugfahrern ist angesichts der Arheitsmarktsituation jedoch nur schwierig zu decken." Deshalb müsse das Unternehmen die technische Voraussetzung dafür schaffen, dass auch fahrerlose Züge verkehren können.

Unmissverständliche Zielsetzung war demnach ganz klar die Erweiterung des Netzes. Hinsichtlich der von mir bereits mehrfach erwähnten Dringlichkeit wegen Stimmungsmache durch die Niendorfer Bevölkerung für einen raschen U-Bahnanschluss, dürfte gerade die Streckenvariante vom Stephansplatz aus eine gewichtige Rolle bei den Auslassungen gespielt haben. Dazu passt gleichfalls ein Zeitungsartikel des Abendblatts vom 28.12.1973. Hierin bekräftigt der Senat zum wiederholten Male, eine Strecke nach Niendorf über den Stephansplatz ausfädeln zu wollen.

Zitat
Glinder

Die Hochbahnaussage von 1965 hat sicher auch ein andere Grundlage als heute mit vielen Nachverdichtungen entlang der Strecke. 1977 beförderte die 2 täglich nur 36200 Fahrgäste und was nun den Busbonus ausmacht warum das auf der 5 so viel mehr sind weiss ich auch nicht. Da sich die Nachfrage heute nicht nur Hoheluftbrücke ballt wie 1977 sondern auch zwischen Hoheluft und Dammtor wird die Prognose heute anders ausfallen als damals. Vielleicht wurde 1977 bei den Fahrgastzahlen auch etwas geschummelt und es waren 45000 aber mehr sicher nicht.

Die Passagierzahlen aus den 70ern sind aufgrund des signifikant veränderten Mobilitätsverhaltens nicht mehr mit denen von heute vergleichbar. Zu dieser Zeit entwickelte sich erst behutsam eine Denke weg vom Auto und hin zum ÖPNV. Ungeachtet dessen könnten Fahrgastströme aus der voranstehend dargelegten minimalen Zugfolgezeit ohne weiteres bewältigt werden.

Zitat
Glinder
Dein Argument sticht eher beim Abzweig von Jungfernstieg U2. Zwischen Jungfernstieg und Hauptbahnhof-Nord kann man mit konventioneller Signalisierung alle 75 Sekunden fahren wenn Hauptbahnhof Nord vier Bahnsteige vorhanden sind.

Habe ich einen Denkfehler oder wären bei 75 Sekunden Zugfolgezeit nicht theoretisch sogar acht Züge in zehn Minuten fahrbar? Wenn dem so ist, dann beraubst Du Dich jedoch Deiner eigenen Argumentation, die eine zusätzliche Aufnahme von insgesamt sieben Zügen binnen zehn Minuten auf der östlichen U1 technisch ausschließt. Zwecks Ausfädelung war übrigens ein weiterer Bahnsteig am Stephansplatz zur kapazitiven Weitung vorgesehen (siehe meine Ausführungen zum Abenblatt-Artikel aus Ausgabe Nr. 46 vom 24.02.1966), zumal die obig erwähnte LZB Zugfolgezeiten dieser Art - wie beschrieben - ohne Mühen erlaubte.

Zitat
Glinder

Dafür hätte man aber eine Verpflichtung gehabt danach bis Winterhude weiterbauen und das wollte damals keiner auf sich nehmen. Die von dir zitierte Rechnung über 300 Mio. D-Mark hätte nicht ausgereicht. Die Neubau-Strecke Jungfernstieg - Niendorf wäre fast doppelt so lang gewesen und hätte Schildvortrieb gebraucht und für die U4 hätte man auch Schildvortrieb gebraucht und die U2 wäre heute noch nicht wirtschaftlich zu den Affen von Hagenbeck unterwegs.

Die Zeitumstände sehe ich genauso: 1975 wäre kurz nach der Finanzkrise ein teureres Projekt nicht möglich gewesen (U2-Abzweig und noch U4-Ost). Dann hätte man auch die U4 im Westen nicht stoppen brauchen. In der Interpretation sehe ich das ähnlich dass die Alternative damals war: über Hagenbeck oder gar keine U-Bahn. Für die Kosten der heutigen U2-Verlängerung wäre man von der U1 oder U2 Jungfernstieg nur bis Siemersplatz gekommen.

Nein, die wirtschaftliche Argumentation diskreditiere ich nicht. Nur hat aus meinen Augen ohnehin die ökonomische Komponente in Hamburg keine große Rolle gespielt. Ansonsten hätte man die Straßenbahn zumindest in ihren letzten Fragmenten erhalten. Seit Anfang der 70er-Jahre gab es diverse ausgewiesene (und vor allem dritte) Experten, die in ihren Gutachten eindeutig zu dem Schluss kamen, dass die Stilllegung ein Fehler sei. Das aber haben Leute wie Dr. Ing. Pampel mitsamt dem Senat ignoriert und Kritiker lieber kaltgestellt. [www.welt.de]
Diese scholzsche Endzeitstimmung hat aber eine mit der Verlängerung über Hagenbeck äußerst unbefriedigende Lösung gebracht, die wiederum der von mir postulierte historische Fehler ist. Notabene ist es bemerkenswert, dass beispielsweise Bremen als klammerer Stadtstaat trotzdem weitaus mehr Mittel mobilisiert und in den ÖPNV investiert, ohne ein derartiges Stückwerk zu fabrizieren, auf das man am Ende auch noch stolz bzw. scholz ist.

Ich schließe mal mit Deinen Worten: Sieht so aus, als ob der Nachweis, dass die 120-Sekunden kein Scheinargument waren, etwas schwierig wird. :-;



2 mal bearbeitet. Zuletzt am 19.01.2014 20:40 von EBostrab.
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